Letzte Aktualisierung: 14.4.2018

Laktose: Wenn der Bauch sich bläht

Kommentar – WDR-Fernsehen, Markt, Sendung vom 6.8.2012 von Petra Storch
Sendung »Markt« im WDR-Fernsehen am 6.8.2012

Sehr geehrte Frau Storch, sehr geehrte Damen und Herren,

laktosefreie Milchprodukte haben einen stolzen Preis. Damit haben Sie prinzipiell Recht! In vielen Beiträgen im Internet und im Blog auf meiner eigenen Website (http://www.dorispaas.de/index.php?page=blog) habe ich dies bereits ausgiebig dargelegt.

In Ihrem WDR-Beitrag lassen Sie einen Hersteller (hier: Omira) die höheren Preise im Vergleich zu »normalen« Milchprodukten mit den höheren Produktionskosten begründen, die durch die industrielle Spaltung des Milchzuckers entstünden. Aber – wie ebenfalls bereits an anderen Stellen gesagt, muss dies in meinen Augen nicht diese doch sehr hohen Preisunterschiede ergeben. Dies möchte ich deshalb nicht noch einmal thematisieren und Verbesserungsvorschläge machen – wichtiger ist mir hier, wie die L aktose-Intoleranz und der Umgang mit ihr dargestellt wird.

Ich rekapituliere noch einmal die Handlung Ihrer Sendung: Zwei ältere Damen, beide laktoseintolerant, gehen gemeinsam einkaufen. Die eine (Herta) »nimmt ausschließlich laktosefreie Produkte« die andere (Irmgard) hält dies nicht für nötig. Während des gesamten Beitrags wird immer wieder gegenübergestellt, welche Produkte Herta kauft und welche Irmgard.

Weiterhin welche laktosefreien (Marken-)Produkte wie viel mehr als laktosehaltige (Billig-)Produkte kosten. Es werden die Preise für den Einkauf verglichen – soweit, so schlecht, denn die Gegenüberstellung von Marken- und Billigprodukten ist nicht objektiv. Auf dem Frühstückstisch von Herta stand übrigens eine Billigmilchmarke von Malibu und nicht die von Omira (MinusL) – Sie haben in Ihrem Beitrag aber jeweils die MinusL-Produkte für Butter, Käse und Schokolade den Billigmarken gegenübergestellt und so die Preisdifferenzen dramatisiert. Wenn Sie den Preis der Malibu-Milch mit dem Preis für »normale« Milch aus einer äquivalenten Preiskategorie verglichen hätten, wäre der Unterschied ein wenig objektiviert, obwohl – wie gesagt – hier auch in meinen Augen ungerechtfertigte Größenordnungen bestehen. Auch legt Irmgard dar, dass sie »Bitterschokolade« esse, Sie jedoch bilden in Ihrem Vergleich zwei Tafeln Milchschokolade ab. Natürlich ist Bitterschokolade ab einem gewissen Kakaogehalt laktosefrei, aber vielleicht mag Herta lieber Milchschokolade – und die ist normalerweise nun mal laktosehaltig. Auch dieser Vergleich hinkt also.

Das Wichtigste ist jedoch für meine Begriffe, dass Irmgard und Herta jedoch ganz offensichtlich nicht dieselben Bedürfnisse in Bezug auf ihre Laktose-Intoleranz haben. Und diese Tatsache lässt Ihre Sendung meines Erachtens nach unter den Tisch fallen und schert beide Verbraucherinnen über einen Kamm. Irmgard behauptet z.B. weltoffen und souverän, sie hätte »noch nie Probleme mit Keksen gehabt« und könne die ganz normalen Kekse essen. Herta, die – so erscheint es mir zumindest – (sicherlich unbeabsichtigt?) als weniger selbstbewusst dargestellt wird, greift zu den teueren laktosefreien Produkten. Aus eigener Erfahrung weiß ich und hätte mir das als Thema in einer Informationssendung gewünscht: nur für sehr leicht laktoseintolerante Menschen ist es (noch) möglich, ein paar »normale« Kekse (also solche, die Milch und Butter enthalten) ohne Folgen zu essen – vor allem, wenn es Kekse mit Milchschokolade sind. Wenn Herta in diesem Falle also laktosefreie Schokokekse bevorzugt, dann nicht unbedingt, weil sie weniger informiert ist, sondern vielleicht, weil ihre Unverträglichkeit ausgeprägter ist als die von Irmgard.

Aber selbst wenn Herta dies alles nicht wüsste, sondern u.U. eher aus Vorsicht zu den als laktosefrei deklarierten Produkten greift, wäre dies auch verständlich. Immerhin mischen heutzutage viele Hersteller Milchzucker in alle möglichen Produkte, in die Laktose gar nicht hineingehört. Dies muss zwar auf den Zutatenlisten vermerkt werden, aber wie diese Listen gestaltet werden, wissen wir alle. Vielleicht hat Herta ja Probleme mit den Augen – immerhin trägt sie eine Brille, das wäre ein Hinweis darauf, dass sie vielleicht schon schlechte Erfahrungen gemacht haben könnte, als ihr Einzelheiten beim Lesen einer Zutatenliste entgangen waren. Wir Laktoseintoleranten können es uns nicht leisten, Experimente zu machen, die – im wahrsten Sinne des Wortes – in die Hosen gehen können! Auch wissen wir ja trotz der Deklarationspflicht gar nichts über den wahren Laktosegehalt. Ja, die Zutaten werden ihrer Menge nach in der Reihenfolge aufgeführt – aber wie genau die Menge ist, wissen wir nicht, können also auch die Gesamtmenge von Laktose in allen verzehrten Produkten nicht genau einschätzen. Hier ist Vorsicht immer vorteilhaft! Das alles hätten Sie in Ihrer Sendung am besten auch erwähnt. Nicht die Verbraucher, die den Herstellern auf den Leim gehen, sollten benannt werden, sondern vor allem und ganz dezidiert die Hersteller zu fairen und verbraucherfreundlichen Praktiken aufgefordert werden!

Der Beitrag von Peter Stehle, den Sie als Ernährungswissenschaftler der Uni Bonn zu Worte kommen ließen, war hier in meinen Augen eher kontraproduktiv: Er begründete die Überflüssigkeit der laktosefreien Milchprodukte damit, dass »bei der Fermentation bei Joghurt« der Milchzucker schlicht »nicht mehr da sei«. Schön wäre es! Unglücklicherweise gab es in seiner Wortwahl doch einige »sprachliche Unschärfen« – ob diese der Kürze des Gesamtbeitrags oder aber einem Denkfehler geschuldet waren, vermag ich nicht zu beurteilen. Von einem Ernährungswissenschaftler wünsche ich mir eine etwas korrektere Beschreibung: Das Laktase-Enzym (Ferment ist ein schon länger veralteter Ausdruck), das von den Milchsäurebakterien hergestellt wird, die Joghurt zu Joghurt machen, kann einen Teil (!) des enthaltenen Milchzuckers spalten – aber nicht den gesamten Milchzucker (so dass er »nicht mehr da ist«). Es verbleiben immer mehr oder weniger große Mengen Milchzucker in jedem Joghurt.

Wichtig wäre hierbei natürlich auch die Erläuterung gewesen, dass nur ein wirklich hochwertiger Naturjoghurt milchzuckerarm (im Vergleich zur Trinkmilch) ist, der billige Industriejoghurt, dessen »Verderb« und dadurch auch der weitere Milchzuckerabbau durch Erhitzung gestoppt wird, kann sehr wohl hohe Laktosemengen enthalten. Vor allem, wenn man bedenkt, dass von den Herstellern dem Produkt häufig sogar noch zusätzlicher Milchzucker beigemengt wird, um mit einer gewissen Sämigkeit das »Mundgefühl« bei den Verbrauchern zu verbessern. All dies hat der Ernährungswissenschaftler leider nicht gesagt. Hier hätte bei einem uninformierten Zuschauer ankommen können – wenn er es nicht besser wüsste, dass alle Laktoseintoleranten ohne Bedenken Joghurt essen können. Er ist ja sowieso laktosefrei, weil – ich zitiere noch einmal – der Milchzucker »nicht mehr da ist«.

Weiterhin sagte Herr Stehle, dass die laktosefreien Produkte, die »bereits Lifestyle-Charakter haben« von den Verbrauchern als kalorienärmer betrachtet werden, denn der Milchzucker würde ja »als Energieträger abgebaut«. Ich nehme nicht an, dass ein Ernährungswissenschaftler nicht weiß, dass die Spaltprodukte Trauben- und Schleimzucker, die durch die enzymatische Spaltung des Milchzuckers entstehen und weiterhin in dem Produkt verbleiben, nichts von ihrer Energie einbüßen. Allerdings wäre es schön gewesen, wenn er dies auch den Zuschauern noch einmal unmissverständlich klargelegt hätte. So könnte der Eindruck für den nicht betroffenen und nicht informierten Zuschauer entstehen, dass die laktosefreien Milchprodukte tatsächlich auch kalorienärmer seien als die »normalen«.

Sehr geehrte Frau Storch, es ist zu begrüßen, dass Sender wie der WDR seriös über das Thema »Laktoseintoleranz« berichten und informieren. Der Zweck Ihrer Sendung sollte sicherlich sein darzulegen, dass laktosefreie Produkte zu teuer sind. Wie oben gesagt: Das finde ich auch, und es wäre gut, hier alle Zusammenhänge beim Namen zu nennen, also auch, die Hersteller zu faireren Preisen aufzufordern. Natürlich ist es nicht nur legitim sondern auch richtig, wenn erwähnt wird, dass mitnichten nur als laktosefrei deklarierte Produkte für Menschen mit Laktose-Intoleranz geeignet sind, sondern durchaus auch – wie das Beispiel Käse korrekt zeigt – auch mit Bedacht ausgewählte »normale« (und vergleichbare) Produkte.

Aber alle die Menschen als unbedarft hinzustellen, die laktosefreie Milchprodukte den normalen Milchprodukten vorziehen, ist sicherlich nicht nur für mich ziemlich ärgerlich. Eine für dieses Thema in meinen Augen zu oberflächliche Berichterstattung aber hilft hier wirklich gar nicht weiter. Besser wäre es, wenn Sie ein wenig mehr Zeit für eine umfassendere und vor allem korrekte Information hätten einplanen können und Menschen hätten zu Worte kommen lassen, die die Zusammenhänge zumindest aus der Verbraucherperspektive sehen und damit wahrscheinlich besser hätten erklären können, als der ausgewiesene Wissenschaftler.

Gerne stehe ich Ihnen für weitere Fragen zu Verfügung und freue mich, wenn Sie Kontakt mit mir aufnehmen.

Herzliche Grüße
Doris Paas
Ernährungs- und Gesundheitspädagogin

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